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AutorenbildGeorg Steinmaier

Babysteps to [moderate] Honesty

Aktualisiert: 3. Nov. 2022

Wenn das erste Mal der neue Kollege plötzlich los muss, um seinen Elias von der KiTa abzuholen, sagt man natürlich „Klar, kein Problem!“ und meint es auch so.

Wenn das anschließend jede Woche passiert, und der Work-Flow dadurch ziemlich beeinträchtig ist, sieht es in einem vielleicht anders aus.

Das aber auch zu sagen, ist oftmals gar nicht so leicht.


Zum Beispiel dann nicht, wenn sich der Kollege über das ihm entgegengebrachte Verständnis extrem gefreut hat.

Und gleichzeitig klar gemacht hat, dass das Verständnis für seine familiären Verpflichtungen absolut selbstverständlich sein sollte. Und für ihn die Basis jeglicher Zusammenarbeit darstellt. Oder dann nicht, wenn der Kollege alleinerziehend, sein Kind chronisch krank ist und er sowieso ständig vor einem Nervenzusammenbruch steht.

Derartige Gemängelagen machen es oft wirklich schwer zu sagen, was einen massiv auf die Nerven geht. Radical Honesty - okay, but what after?


Solange die Anzahl solcher Tabu-Themen in Teams überschaubar ist und diese sich nicht direkt auf die gemeinsame Aufgabe eines Teams beziehen, funktioniert meistens alles noch ganz gut. Man beklagt sich zu Hause gelegentlich bei seinem Lieblingsmenschen über den entsprechende Kollegen. Der*die lacht darüber, und begrüßt einen zum Feierabend schon mit der Frage, wegen welchen Beschwerden Elias heute frühzeitig von der Kita abgeholt werden musste. So lässt sich das Ganze mit etwas Humor ertragen.


Wenn aber Themen nicht angesprochen werden können, die sich noch direkter auf die eigene Arbeit auswirken, kann ein ganzes Team blockiert werden.

Ich erscheine zum Beispiel nach zwei Wochen Urlaub zurück auf Arbeit, und zwei neue Kolleg*innen sind in meiner Abwesenheit eingearbeitet worden. Die Einarbeitung der Neuen hat leider der Kollege übernommen, mit dem ich sowieso viele inhaltliche Differenzen habe. Sämtliche Prozesse sind nun anders als gewohnt, und anders als wie ich sie mit viel Herzblut entwickelt habe. Sie funktionieren aber erschreckender Weise genauso gut, oder schlimmer - sogar noch besser als die von mir entwickelten.

Es fehlt also jegliche rationale Argumentationsgrundlage, um etwas gegen die Neuerungen einzuwenden. Weil es aus fachlicher Perspektive keinen Sinn macht, das Unbehagen gegen die neuen Prozesse zu äußern, tue ich dies auch nicht. Ich bin schließlich professionell!

Nicht kommunizierte Enttäuschungen finden aber meistens doch irgendwann ihren Weg an die Oberfläche. Entsprechend naheliegend ist es, mit dem alteingesessenen Kollegen, der schon immer gegen jede Innovation war, bei verschlossener Büro-Tür über die neuen Prozesse zu klagen. Und wenn man schon Mal dabei ist auch noch die Schwächen der neuen Kolleg*innen ausgiebig zu analysieren.

Was kann ein Team tun, das die Fähigkeit direkt miteinander zu sprechen verlernt hat? Hierfür gibt es leider kein Patentrezept. Und es gibt auch nur selten den Moment, in dem endlich alles auf den Tisch kommt, die ganz großen Aussprachen passieren, und alles wieder super ist. Der Wunsch danach ist nachvollziehbar und auch anzuerkennen als Bedürfnis, etwas an der Situation zu ändern. Aber eine Dynamik, die sich langsam über einen längeren Zeitraum entwickelt hat, lässt sich häufig nur genau so langsam wieder zurückdrehen.

Was aber immer möglich ist, sind Babysteps - die auch den Vorteil haben, dass man selber damit anfangen kann, ohne darauf zu warten, dass alle mitziehen:

  • wenn Kollege X das nächste Mal mit einem über die unsägliche Kollegin Y sprechen möchte, es einfach bei einem freundlichen „Hm.“ belassen und zum nächsten Thema übergehen (ist erfahrungsgemäß realistischer, als sich vorzunehmen, dem Kollegen beim nächsten Mal zu entgegnen „ich spreche ab jetzt nie mehr negativ über abwesende Kolleg*innen“)

  • sich in Ruhe überlegen, was Kollegin Y eigentlich sonst noch so kann, außer einen auf die Nerven zu gehen

  • davon ausgehend allen Kolleg*innen öfter Mal etwas Positives zurückmelden - wer die Erfahrung macht, dass seine Arbeit und Kompetenzen gesehen werden, kann Kritik besser annehmen und muss Gegenargumente nicht als Angriff wertem

  • mit kleinen Kritikpunkten oder Gegenstandpunkten beginnen. Oft fehlt es in Teams auch an Konflikt-Routine. Wenn man bei der Frage, wo es heute zum Mittagessen hingeht, schon mal gegen die mehrheitliche Tendenz gesagt hat „Nein, da will ich nicht hin!“ fällt es einem bei der nächsten Grundsatzentscheidung auch leichter „Ich sehe das anders“ zu sagen

  • Allgemein ins Gespräch kommen über Defizite, Fehler, Schwächen und womit man sonst noch sich gegenseitig auf die Nerven geht. Am leichtesten, in dem man bei sich anfängt. Zum einen kann es für einen selbst interessant sein, herauszufinden, ob man für seinen Clean-Desk-Fetischismus von den Kolleg*innen gehasst wird, oder ob sie das eigentlich doch ganz praktisch finden. Zum anderen ergibt sich, wenn es schon mal um persönliche Unzulänglichkeiten geht, eher die Möglichkeit, auch anzusprechen, was einen am Gegenüber stört.

Oder doch den großen Schritt wagen, und im Gespräch zu zweit versuchen reinen Tisch zu machen: Wer klar macht, dass er etwas schon lange mit sich herumschleppt, aber es ihm sehr schwer fällt das anzusprechen, und er weiß, dass das Folgende für sein Gegenüber schwer zu hören sein wird, aber es für eine weitere gute Zusammenarbeit doch mal gesagt werden will - der kann auch sagen, dass es natürlich nachvollziehbar ist, wenn der Kollege Elias abholen muss. Aber es trotzdem nicht sein kann dass die Mehrarbeit an ihm hängen bleibt.


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